Heute würde ein Amateurfotograf über die Bezeichnung, er sei ein Dilettant, empört sein. Vor über 100 Jahren war dieser Begriff aber positiv besetzt:
Unter Dilettant verstand man damals einen Amateur, einen Liebhaber einer Kunst oder Wissenschaft, der sich nicht berufsmäßig damit beschäftigt. Berühmte Dilettanten waren u.a. Albert Einstein,
der auch ein begnadeter Violinist war, der amerikanische Präsident Benjamin Franklin, der den Blitzableiter erfand und Heinrich Schliemann, ein Kaufmann, der Troja ausgrub.
Technologisch war die Fotografie Ende des 19. Jahrhunderts auf einem sehr hohen Stand. Die Berufsfotografen dieser Zeit waren aber künstlerisch in eine Einbahnstraße geraten: «Die Säule, der
Vorhang und das ovale Tischchen sind typisch für die Porträtphotographie um 1870». Dennoch traf diese billige Bildnisfotografie, oder besser gesagt Porträtindustrie, den Geschmack des Publikums
wegen der Ähnlichkeit mit der Bildmalerei. Die Zeitgenossen mussten diese Produkte hochentwickelter Technik und unterentwickelten Geschmacks verabscheuen, sofern sie überhaupt eine Ahnung davon
hatten, zu welchen Leistungen die Fotografie fähig ist.
Alfred Lichtwark (1852-1914), der Direktor der Hamburger Kunsthalle und Kunstpädagoge, wetterte in seinen berühmten Vorträgen 1893: «Das deutsche Publikum hat im Allgemeinen einen Abscheu vor der
Wirklichkeit. Selten will es scheinen, wie es ist. Jeder hat das Bedürfnis, sich im Bildnis nach einem vagen Ideal gesteigert zu sehen.» 1893 hielt Alfred Lichtwark drei solcher Vorträge in der
Kunsthalle. Sie erschienen sofort als Buch: «Die Bedeutung der Amateur-photographie». Dieses war das Manifest einer «neuen Fotografie» und für die Entwicklung der Amateurfotografie von sehr
großer Bedeutung.
Und da er ein Mann der Praxis war, wollte er auch wissen, was denn die Amateure zu seiner Zeit fotografierten. So kommt die erste Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle zustande, bei der 6.000
Fotografien von 458 Amateuren aus aller Welt gezeigt werden.
Das sich ein Kunstmuseum der Fotografie öffnete, war revolutionär. «Dem Publikum kam es vor, als wollte ein Naturforscherkongreß als Sitzungssaal eine Kirche benutzen», sagte Lichtwark. Den etwa
40 deutschen Vereinen standen z.B. 400 Vereine aus England gegenüber.
Der Verband Deutscher Amateurphotographen (VDAV), der Vorläufer des heutigen DVF (Deutscher Verband für Fotografie) wurde erst 1908 in Berlin gegründet. Erster Vorsitzender war der Major von
Westernhagen. Gründungsmitglieder waren 37 Vereine aus Deutschland.
Der Kaufmann und Ingenieur Ernst Wilhelm Juhl (1850-1915), der diese und neun weitere internationale Photoausstellungen organisiert, hatte dafür 1892 einen Fotoverein gegründet. Diesen Verein
gibt es heute noch und heißt «Freie Vereinigung
von Amateur - Photographen zu Hamburg»
1896 hatte die Vereinigung 91 ordentliche Mitglieder und 47 korrespondierende Mitglieder. Lichtwark war Ehrenmitglied.
Man hatte für diese Ausstellung viel Geld zusammengebracht, sodaß Prospekte in vier Sprachen an die führenden Zeitungen der ganzen Welt versandt wurden. Insgesamt wurden 20.000 Einladungen
an sämtliche Amateur - Vereine in Österreich, England, Amerika und Frankreich verschickt, man schaltete die Konsulate ein und den internationalen Photohandel. In 30 Zeitungen gab man Anzeigen für
die Beteiligung auf. Es war eine Monsterschau, aber welche Vergleichsmöglichkeiten bot sie, und welche Begeisterung für die Photographie war für dies Riesenunternehmen notwendig?
Lichtwark nutzte in diesen Vorträgen die Gelegenheit zu kritischem Vergleich; nur wenige deutsche Amateure zeugten von ihrer entwickelten Begabung, das Gros der Bilder bot gleichförmig niedriges
Niveau. Nichts ließ Lichtwark aus: Motive, Auffassung, Dekor, Natürlichkeit, Drucktechnik, Kartons und Bilderrahmen werden in seinem Vortrag behandelt. Die Aussteller zeigten meist Abzüge
ihrer Originalplatten 13 x 18 cm, 18 x 24 cm oder höchstens 30 x 40 cm. Durch diese Abzugstechnik blieb die wesenseigene Schärfe des photographischen Bildes erhalten.
Ein Teil der Sammlung Juhl gelangte 1916/17 in das Museum für Kunst und Gewerbe, von wo die Fotographien 1952 in die Staatliche Landesbildstelle Hamburg kamen als Grundstock der größeren
Sammlung, die nun wieder in das Museum zurückkehrte.