«Die Amateur Photographie ist der jüngste Zweig am Baum des Dilettantismus»

Alfred Lichtwark

Buch von Alfred Lichtwark 1893
Buch von Alfred Lichtwark 1893
Der Vorhang und das ovale Tischchen sind typisch für Fotografien dieser Zeit
Der Vorhang und das ovale Tischchen sind typisch für Fotografien dieser Zeit
Der junge Lichtwark
Der junge Lichtwark
Lichtwark
Lichtwark
Blick in die Ausstellung in der Kunsthalle
Blick in die Ausstellung in der Kunsthalle

Heute würde ein Amateurfotograf über die Bezeichnung, er sei ein Dilettant, empört sein. Vor über 100 Jahren war dieser Begriff aber positiv besetzt:

Unter Dilettant verstand man damals einen Amateur, einen Liebhaber einer Kunst oder Wissenschaft, der sich nicht berufsmäßig damit beschäftigt. Berühmte Dilettanten waren u.a. Albert Einstein, der auch ein begnadeter Violinist war, der amerikanische Präsident Benjamin Franklin, der den Blitzableiter erfand und Heinrich Schliemann, ein Kaufmann, der Troja ausgrub.

Technologisch war die Fotografie Ende des 19. Jahrhunderts auf einem sehr hohen Stand. Die Berufsfotografen dieser Zeit waren aber künstlerisch in eine Einbahnstraße geraten: «Die Säule, der Vorhang und das ovale Tischchen sind typisch für die Porträtphotographie um 1870». Dennoch traf diese billige Bildnisfotografie, oder besser gesagt Porträtindustrie, den Geschmack des Publikums wegen der Ähnlichkeit mit der Bildmalerei. Die Zeitgenossen mussten diese Produkte hochentwickelter Technik und unterentwickelten Ge­schmacks verabscheuen, sofern sie überhaupt eine Ahnung davon hatten, zu welchen Leistungen die Fo­tografie fähig ist.

Alfred Lichtwark (1852-1914), der Direktor der Hamburger Kunsthalle und Kunstpädagoge, wetterte in seinen berühmten Vorträgen 1893: «Das deutsche Publikum hat im Allgemeinen einen Abscheu vor der Wirklichkeit. Selten will es scheinen, wie es ist. Jeder hat das Bedürfnis, sich im Bildnis nach einem vagen Ideal gesteigert zu sehen.» 1893 hielt Alfred Lichtwark drei solcher Vorträge in der Kunsthalle. Sie erschienen so­fort als Buch: «Die Bedeutung der Amateur-photographie». Dieses war das Manifest einer «neuen Fotogra­fie» und für die Entwicklung der Amateurfotografie von sehr großer Bedeutung.

Und da er ein Mann der Praxis war, wollte er auch wissen, was denn die Amateure zu seiner Zeit fotografierten. So kommt die erste Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle zustande, bei der 6.000 Fotografien von 458 Amateuren aus aller Welt ge­zeigt werden.

Das sich ein Kunstmuseum der Fotografie öffnete, war revolutionär. «Dem Publikum kam es vor, als wollte ein Naturforscherkongreß als Sitzungs­saal eine Kirche benutzen», sagte Lichtwark. Den etwa 40 deutschen Vereinen standen z.B. 400 Vereine aus England gegenüber.

Der Verband Deutscher Amateurphotographen (VDAV), der Vorläufer des heutigen DVF (Deutscher Verband für Fotografie) wurde erst 1908 in Berlin gegründet. Erster Vorsitzender war der Major von Westernhagen. Gründungsmitglieder waren 37 Vereine aus Deutschland.

Der Kaufmann und Ingenieur Ernst Wilhelm Juhl (1850-1915), der diese und neun weitere internationale Photoausstellungen organisiert, hatte dafür 1892 einen Fotoverein gegründet. Diesen Verein gibt es heute noch und heißt «Freie Vereinigung von Amateur - Photographen zu Hamburg»

1896 hatte die Vereinigung 91 ordentliche Mitglieder und 47 korrespondierende Mitglieder. Lichtwark war Ehrenmitglied.

Man hatte für diese Ausstellung viel Geld zusammengebracht, sodaß Prospekte  in vier Sprachen an die führenden Zeitungen der ganzen Welt versandt wurden. Insgesamt wurden 20.000 Einladungen an sämtliche Amateur - Vereine in Österreich, England, Amerika und Frankreich verschickt, man schaltete die Konsulate ein und den internationalen Photohandel. In 30 Zeitungen gab man Anzeigen für die Beteili­gung auf. Es war eine Monsterschau, aber welche Vergleichsmöglichkei­ten bot sie, und welche Begeisterung für die Photographie war für dies Riesenunternehmen not­wendig?

Lichtwark nutzte in diesen Vorträgen die Gelegenheit zu kritischem Vergleich; nur wenige deutsche Amateure zeugten von ih­rer entwickelten Begabung, das Gros der Bilder bot gleichförmig niedriges Niveau. Nichts ließ Lichtwark aus: Motive, Auf­fassung, Dekor, Natürlichkeit, Drucktechnik, Kartons und Bilderrahmen werden in seinem Vortrag be­handelt.  Die Aussteller zeigten meist Abzüge ihrer Ori­ginalplatten 13 x 18 cm, 18 x 24 cm oder höchstens 30 x 40 cm. Durch diese Abzugstechnik blieb  die wesenseigene Schärfe des photographischen Bildes erhalten.

Ein Teil der Sammlung Juhl gelangte 1916/17 in das Museum für Kunst und Gewerbe, von wo die Fotographien 1952 in die Staatliche Landesbildstelle Hamburg kamen als Grundstock der größeren Sammlung, die nun wieder in das Museum zurückkehrte.